Presseerklärung des VBE-MV - Umfrage zur Umsetzung der Inklusion
Inklusion in Schulen: Diskrepanz zwischen Anspruch und schulischer Wirklichkeit
Repräsentative Umfrage zeigt den realen Stand bei der Umsetzung einer inklusiven Beschulung in Mecklenburg-Vorpommern
„Zwei Drittel unserer Lehrkräfte sehen eine gemeinsame Unterrichtung von Kindern mit und ohne Behinderung grundsätzlich für sinnvoll an. Und damit liegen wir über dem Bundesdurchschnitt. Das ist die positive Botschaft einer vom VBE in Auftrag gegebene repräsentativen forsa-Befragung unter den Lehrkräften. Leider aber auch die einzige. Denn im Gegensatz dazu halten rund 70 Prozent diesen Unterricht derzeit nicht für sinnvoll. Und das ist eine klare Botschaft und sollte die verantwortlichen Bildungspolitikerinnen und -politiker endlich wachrütteln.“, kommentiert der Landesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Michael Blanck, die heute präsentierten Ergebnisse.
Nach 2015, 2017 und 2020 hat der VBE auch in diesem Jahr eine repräsentative bundesweite Umfrage zur inklusiven Beschulung in Auftrag gegeben. Neu bei der diesjährigen Umfrage ist, dass es auch direkte Ergebnisse für Mecklenburg-Vorpommern gibt, die im bundesweiten Vergleich betrachtet werden können.
Ja zur Inklusion, aber auch ja zum Erhalt von Förderschulen
Die Umfrageergebnisse zeigen, dass sich Lehrkräfte trotz des hohen Zuspruchs zu einer inklusiven Beschulung mit rund 80 Prozent für einen vollständigen oder mehrheitlichen Erhalt der Förderschulen aussprechen. Blanck betont: „Hier spiegelt sich die schulische Realität wider. Wie es die Lehrkräfte täglich erleben, kann es nicht weitergehen. So funktioniert derzeit inklusiver Unterricht nicht und geht an den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler vorbei und macht Lehrkräfte krank.“ Der VBE sieht sich durch die Umfrage bestätigt, dass erst die personellen, räumlichen und sächlichen Voraussetzungen geschaffen werden müssen, damit inklusive Beschulung gelingt. Diese Forderung wurde bereits bei der Schulgesetzänderung zur Einführung eines inklusiven Unterrichts 2019 aufgestellt.
Personalmangel erschwert Inklusion
42 Prozent der Befragten und damit etwas mehr als im Bundesvergleich sehen im Personalmangel das größte Hindernis bei der gemeinsamen Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderung. 96 Prozent und damit die gleiche Zahl wie im bundesweiten Vergleich erwarten eine Doppelbesetzung aus einer Lehrkraft und einer sonderpädagogischen Lehrkraft in inklusiven Klassen, wobei 80 Prozent und damit etwas weniger als bundesweit diese in jeder Unterrichtstunde und nur 20 Prozent zeitweilig erwarten. Die Praxis ist derzeit weit davon entfernt. So bestätigt Heiko Schwichtenberg, stellvertretender Landesvorsitzender des VBE M-V und Lehrer an der Regionalen Schulemit Grundschule in Rastow: „Förder- bzw. Gemeinsamer Unterricht mit einer zweiten Lehrkraft wird an meiner Schule in geringer Anzahl durchgeführt. Zu wenig für die Schülerinnen und Schüler. Oft werden die Lehrkräfte aus den Förderstunden für den Vertretungsunterricht herangezogen, damit der Kernunterricht nicht gefährdet ist. Ich vermisse eine Vertretungsreserve, die bei ausfallendem Unterricht eingesetzt werden kann. Es fehlen Sonderpädagoginnen und -pädagogen, die Schülerinnen und Schülern mit Problemen helfen oder Lehrkräfte, die leistungsstarke Schülerinnen und Schüler weiter voranbringen können. Es geht hier also nicht nur um die Schülerinnen und Schüler mit diagnostiziertem Förderbedarf. Alle anderen haben auch ein Recht auf gute Förderung.“ Auch die Klassengröße spielt eine entscheidende Rolle in inklusiven Klassen. In 67 Prozent und damit etwas mehr als im Bundesdurchschnitt sehen die befragten Lehrkräfte die Klassengröße von inklusiven im Vergleich zu nicht-inklusiven Klassen als gleich groß. Blanck betont: „Es geht nicht, dass wir immer mehr Schülerinnen und Schüler mit anerkannten Förderbedarfen in die Klassen geben und dann die Lehrkraft als Einzelkämpfer im Regen stehen lassen. An vielen Stellen gibt es zu wenig Unterstützung durch zusätzliches Personal, und Klassengrößen bleiben gleich. Nicht nur im Unterricht sind diese Lehrkräfte allein gelassen, sondern auch im außerunterrichtlichen Teil: viele zusätzliche Gespräche, Teamabsprachen und vor allem ein größerer Aufwand in Vor- und Nachbereitung des Unterrichts.“
Qualifikation bleibt hinter den Erwartungen zurück
Trotz wachsender Anforderungen fühlen sich viele Lehrkräfte unzureichend vorbereitet: 70 Prozent der befragten Lehrkräfte geben an, dass die Inklusion kein Teil der Lehrkräfteausbildung war und knapp 60 Prozent sind unzufrieden mit den Fortbildungsangeboten zum Thema schulischer Inklusion. Blanck: „Gerade das scheint in der Politik noch nicht angekommen zu sein und das ist verheerend. Wir hatten uns gerade in diesem Zusammenhang viel mehr vom gerade verabschiedeten Lehrkräftebildungsgesetz versprochen. Wir mussten trotz aufgestellter Forderungen erkennen, dass die Stellschrauben bei der Inklusions- bzw. Förderschulpädagogik im Lehramtstudium in die falsche Richtung gedreht werden sollen. Nicht mehr, sondern weniger ist das falsche Signal.“
Fazit
Inklusion muss gelingen und kann auch gelingen! Lehrkräfte sind bereit dafür. Inklusion kann aber nur gelingen, wenn die Gelingensbedingungen stimmen. Dazu stellt Blanck fest: „Es reicht nicht, wenn seitens der Politik im Landtag die Termine zur Schließung der Förderschulen regelmäßig nach hinten verschoben werden. Erst müssen personelle, räumliche und sächliche Voraussetzungen geschaffen werden. Dazu gehört auch, dass Lehrkräften mehr Zeit für Teammeetings eingeräumt, die Arbeitszeit neu bewertet und Schulen für eine inklusive Beschulung ausgestattet werden. Ein ‚Weiterso‘ darf es nicht geben, denn das geht zu Lasten der Bildung unserer Schülerinnen und Schüler, und Lehrkräfte müssen das ausbaden und verabschieden sich innerlich von ihren Idealen. Wenn 80 Prozent der Lehrkräfte fehlende Unterstützungsmaßnahmen bei der Belastung durch den inklusiven Unterricht bemängeln, muss mansich nicht wundern, dass fast 90 Prozent mit der Inklusionspolitik unzufrieden sind.“
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